wenn der künstler seinen arbeiten die bezeichnung ‘gezeiten‘ gibt, so verweist der titel auf ebbe und flut, das fallende und steigende meerwasser, das in einem kurzen punkt der ruhe, den ausgleich, die balance findet. in norddeutschland, insbesondere an der küste ist diese interpretation der arbeiten jan meyer-rogges sicherlich auch ohne den verweis des titels möglich. in anderen regionen ist es für den rezipienten ohne den titelverweis jedoch sicher erheblich schwerer, die arbeiten in der angegebenen weise zu interpretieren. es zeigt sich auch hier, daß kunst immer kontextabhängig ist. die plastiken des künstlers kann sich der rezipient über das sehen erschließen. dennoch geht es bei der rezeption der arbeiten nicht ausschließlich um das sehen, sondern in verbindung hiermit um das ertasten, das fühlen und das spüren von etwas, also zusätzliche sinnliche qualitäten, die des haptischen. wir müssen die plastiken jedoch nicht mit der hand berühren oder sogar teile davon anheben. aufgrund sensueller erfahrungen im laufe des lebens haben wir gelernt, auch mit dem auge oberflächen auf ihre sinnlichen qualitäten hin ‘abzutasten‘, druck und zug (gewicht) bei visueller wahrnehmung von gegenständen zu spüren. jan meyer-rogges plastiken ermöglichen und fordern körperliche – visuelle und haptische – erfahrungen bei der rezeption. neugierig geworden, kann der betrachter, indem er bei der rezeption spielerisch mit diesen erfahrungen umgeht, neue sensuelle erkenntnisse gewinnen. balance, wie sie in den arbeiten des künstler vorkommt, kann man also nicht nur sehen, sondern gleichzeitig über das tastende auge auch spüren.